August 2011

Anfechtbarkeit einer Pfändung in die offene Kreditlinie des Insolvenzschuldners mit Abruf der Kreditmittel

10.08.11 | Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 09.06.2011, gerichtliches Aktenzeichen X ZR 179/08, die Anfechtbarkeit gem. §§ 129 Abs.1, 133 Abs. 1 InsO einer Pfändung in die offene Kreditlinie des Insolvenzschuldners mit Abrufung der Kreditmittel bestätigt. Das Finanzamt des beklagten Landes erließ wegen Steuerrückstände eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung, wonach die Konten der Schuldnerin gepfändet wurden. Auf Veranlassung der Schuldnerin überwies das betroffene Kreditinstitut als Drittschuldner die rückständige Steuerforderung an das Finanzamt. Zeitlich versetzt erfolgten weitere Pfändungs- und Überweisungsverfügungen wegen weiterer Steuerschulden. Alle Zahlungen erfolgten aus dem der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredits, der auch nach den einzelnen Zahlungen nicht überschritten war.

Der Bundesgerichtshof hat anlässlich der hier vorgestellten Entscheidung die Insolvenzanfechtung des klagenden Insolvenzverwalters gem. § 133 Abs. 1 InsO bestätigt. Dabei hat der BGH ausgeführt, dass die Vorschrift des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO als Rechtshandlung ein willensgeleitetes, verantwortungsgesteuertes Handeln des Schuldners voraussetzt. Der Schuldner muss im Rahmen der vorausgesetzten Rechtshandlung darüber entscheiden können, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert. Diese Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof zweifellos als gegeben angesehen, wenn der Schuldner eine Überweisung veranlasst, auch wenn für den Zahlungsempfänger zuvor die Ansprüche auf Auszahlung gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden sind. Zudem hat der Bundesgerichtshof die gem. § 129 Abs. 1 InsO erforderliche objektive Gläubigerbenachteiligung für gegeben angesehen.

Hierzu hat der Bundesgerichtshof im Einzelnen ausgeführt, dass die Pfändung der Ansprüche der Schuldnerin aus der offenen Kreditlinie wirksam war. Ein Pfandrecht an Forderungen aus dem Kreditverhältnis wurde dadurch jedoch vor einem Abruf der Einzelbeträge durch die Schuldnerin nicht begründet. Denn bei einem Dispositionskredit besteht vor dem Abruf durch den Darlehensnehmer noch kein Anspruch auf Auszahlung gegen die Bank, den ein Pfändungsgläubiger ohne Mitwirkung des Kreditinhabers einziehen könnte. Der Kontokorrentkredit stellt es vielmehr ins Belieben des Kontoinhabers, ob er die Kreditlinie in Anspruch nimmt oder nicht. Deshalb wird der Anspruch auf Auszahlung erst durch den Abruf des Kunden begründet. Vor dem Abruf des Kontoinhabers ist demgemäß kein Anspruch auf Auszahlung gegen die Bank vorhanden, die einen Abtretungs- oder Pfändungsgläubiger des Recht geben könnte, sich ohne Mitwirkung des Kontoinhabers Kreditmittel auszahlen zu lassen.

Der Begriff der Rechtshandlung ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes weit auszulegen. Rechtshandlung ist jedes von einem Willen getragener Handeln, dass rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Hat der Schuldner demgegenüber nur die Wahl, die geforderte Leistung sofort zu erbringen oder die Vollstreckung durch die bereits anwendbaren Vollziehungspersonen zu dulden, ist ein selbstbestimmtes Handeln ausgeschlossen.

Im vorliegenden Fall ist der Bundesgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Zweifel daran besteht, dass der Abruf der Kreditmittel durch Veranlassung der Überweisung durch die Schuldnerin jeweils eine Rechtshandlung darstellt. So hätte die Schuldnerin diese Überweisungen ohne weiteres unterlassen können.

Nach ständiger Rechtsprechung des neunten Senats des Bundesgerichtshofes hat eine Zahlung mit Mitteln eines zuvor eingeräumten und vom Schuldner abgerufenen Dispositionskredits auch gläubigerbenachteiligende Wirkung (vgl. BGH, Urteil vom 09.06.2011, AZ. X ZR 179/08, ZEP 2011, 1324 (1326) m. w. N.).


Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens über freigegebenes Vermögen

10.08.11 | Die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens über freigegebenes Vermögen des Schuldners aus selbstständiger Tätigkeit ist möglich. Dies hat der BGH mit Beschluss vom 09.06.2011, gerichtliches Aktenzeichen X ZB 175/10 entschieden. Hat der Insolvenzverwalter erklärt, dass Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört, kann auf Antrag eines Neugläubigers ein auf dieses Vermögen beschränktes zweites Insolvenzverfahren eröffnet werden.

Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH haben die Neugläubiger auch dann, wenn der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbstständig tätige Schuldner die daraus herrührenden Verbindlichkeiten nicht erfüllen kann, grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Interesse an der Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens. Für ein weiteres Insolvenzverfahren ist deshalb eigentlich kein Raum, weil das gesamte vom Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen einschließlich aller Einkünfte aus seiner selbstständigen Tätigkeit gem. § 35 Abs. 1 InsO in die Insolvenzmasse des eröffneten (ersten) Verfahrens fällt. Demzufolge bleibt dem Schuldner nur das unpfändbare Vermögen im Sinne des § 36 InsO, das aber nicht die Grundlage für ein weiteres Insolvenzverfahren darstellen kann.

Die nunmehr ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes betrifft den Sonderfall der Vorschrift des § 35 Abs. 2 InsO. Nach dieser Regelung kann der Insolvenzverwalter erklären, dass Vermögen aus einer ausgeübten oder beabsichtigten selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Sinn und Zweck der Vorschrift ist dem Insolvenzschuldner die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb des Insolvenzverfahrens einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen.

Dabei widerspricht die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens vor Aufhebung des eröffneten Insolvenzverfahrens grundsätzlich dem Grundgedanken der Insolvenzordnung, dass über das Vermögen einer Person nicht mehr als ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Dieser Grundsatz gilt jedoch nach Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht ausnahmslos, denn die Insolvenzordnung kennt durchaus Sonderinsolvenzverfahren über Vermögensmassen, die nicht allen Gläubigern gleichermaßen haften. Der nach „Freigabe“ einer selbstständigen Tätigkeit gem. § 35 Abs. 2 InsO von Schuldner durch dessen Tätigkeit erzielte Neuerwerb haftet während des eröffneten ersten Verfahrens grundsätzlich nur den Neugläubigern, nicht aber den Insolvenzgläubigern. Der Antrag eines (Neu-) Gläubigers ist daher zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Dabei braucht der Gläubiger nicht darzulegen, dass seine Forderung ganz oder teilweise befriedigt werden kann.

Eröffnet werden kann das Zweitverfahren allerdings nur, wenn die Verfahrenskosten im Sinne des § 26 Abs. 1 InsO im Hinblick auf dieses Verfahren auch gedeckt sind.


Eingeschränkte Anfechtung bei Forderungen aus Eigentumsvorbehalt

10.08.11 | Zukünftig entstehende oder zukünftig werthaltig gemachte Forderungen, die eine Abtretung wegen eines erweiterten oder verlängerten Eigentumsvorbehaltes unterliegen, sind grundsätzlich nur als kongruente Deckung anfechtbar.

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 17.03.2011 seine Rechtsprechung betreffend Globalzessionen unterliegenden Forderungen vollinhaltlich auf dem Fall des verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehalts übertragen (BGH Urteil vom 17.03.2011, Aktenzeichen XI ZR 63/10).

Der Entscheidung liegt ein Sachverhalt zugrunde, wonach der Insolvenzverwalter Forderungen von dem Kunden der Schuldnerin unter verlängertem und erweitertem Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren der Klägerin einzog, aber nur einen Teil dieser Forderungen an die Klägerin zur Auszahlung brachte.

Der BGH sprach der Klägerin aufgrund des verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehaltes einen Anspruch auf Auszahlung des einbehaltenden Betrages zu, weil sie an den ihr abgetretenen Forderungen ein Absonderungsrecht nach § 51 Abs. 1 InsO hat, das sich im Wege der dinglichen Surrogation an dem Erlös fortgesetzt hat. Dabei ging der Bundesgerichtshof davon aus, das der zwischen der Klägerin und der Schuldnerin vereinbarte verlängerte und in Form des Kontokorrentvorbehaltes- erweiterte Eigentumsvorbehalt die von der Schuldnerin aufgeschlagenen Margen erfasst und gleichzeitig der Absicherung von Altforderungen dient. Dabei greift die vom Insolvenzverwalter einredeweise geltend gemachte Insolvenzanfechtung gemäß §131 Abs.1 Nr. 1 u. 2 InsO mit Blick darauf, dass die abgetretenen Forderungen erst in den letzten 3 Monaten vor Antragstellung entstanden sind oder werthaltig wurden, nicht durch. Im Hinblick auf die Abtretung in Höhe des Einkaufswertes der Waren der Klägerin liegt schon keine objektive Gläubigerbenachteiligung vor. Die Klägerin hat insoweit anstatt des Vorbehaltseigentums an ihrer Ware die zur Sicherheit abgetretenen Forderungen in entsprechender Höhe erhalten, sodass lediglich ein unmittelbarer Sicherheitsaustausch vorliegt.

Die allein in Betracht kommende Anfechtung nach §131 Abs.1 Nr.1 u. 2 InsO scheitert aber daran, das die im Rahmen des verlängerten – aber auch des erweiterten Eigentumsvorbehaltes vorgenommenen Abtretungen keine inkongruenten, sondern kongruente Sicherheiten gewähren. Auch wenn grundsätzlich nur solche Vereinbarungen als kongruent anzusehen sind, die auf wenigstens identifizierbare Gegenstände gerichtet sind, hat der Senat bei Globalzessionsverträgen eine Ausnahme entwickelt. Hierbei sind als kongruente Sicherheiten auch künftig entstehende Forderungen anzusehen.

Bei der Globalenzession sind die künftig entstehenden Forderungen zwar noch nicht konkret bestimmt, deren Begründung wird jedoch zum Inhalt und Zweck des Vertrages im freien Belieben des Schuldners entzogen, da beide Vertragspartner davon ausgehen, dass der Kreditnehmer den Geschäftsbetrieb fortsetzt und auf diese weise ständig neue Forderungen gegen seine Kunden erwirbt, die als taugliche Sicherheit dienen können.

Diese Erwägungen treffen auch auf den verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehalt zu. Dabei ist der im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehaltes durch Sicherungsabtretung erfolgte Sicherungsaustausch mit der Globalsession vergleichbar.

Auch wenn im Zeitpunkt der Vereinbarung des verlängerten Eigentumsvorbehaltes die künftige Forderung nicht exakt bestimmt ist, ist die übergehende Forderung zumindest mit Blick auf den Kaufgegenstand und in abstrakter Form rechtlich bindend festgelegt.

Gerade praktische Erwägungen sprechen auch Sicht des 9. Senats des Bundesgerichtshofes für eine Gleichbehandlung des verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehaltes gegenüber der Globalzession, da dies gerade für kleine und mittelständische Unternehmen oft die einzige Finanzierungsmöglichkeit darstellt.


Keine Beihilfe zur Insolvenzverschleppung durch den Steuerberater

10.08.11 | Das Oberlandesgericht Köln hat mit Beschluss vom 03.12.2010, Aktenzeichen III – 1 Ws 146/10 (128) entschieden, dass keine Beihilfe des Steuerberaters zu Insolvenzverschleppung durch Fortführung des Mandates nach Hinweis auf eine mögliche Insolvenzantragspflicht gegen ist. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln ist rechtskräftig.

Ein Steuerberater macht sich somit nicht der Beihilfe zur vom Geschäftsführer seiner Mandantin verübten Insolvenzverschleppung schuldig, wenn er diesen zwar auf die schlechte Wirtschaftliche Lage der GmbH und ihre mögliche Insolvenz bzw. auf die Pflicht des Geschäftsführers zur Insolvenzantragstellung hinweist, das Mandat aber nicht niederlegt.

Für den Beihilfevorsatz sind die allgemein für berufstypische „neutrale“ Handlungen geltenden Grundsätze zu beachten. Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weißt dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten.

Im vorliegenden Fall ging es um ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren durch den Insolvenzverwalter. Dieser wandte sich dagegen, dass die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung gegen den Steuerberater eingestellt hat.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln ermöglicht es dem Berater der seinen Hinweispflichten nachgekommen ist, das Mandat vorzuführen. Allerdings sollte der steuerliche Berater in diesem Fall für eine ausreichende Dokumentation der Erfüllung seiner Hinweispflichten bereits unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten Rechnung tragen.


Keine Bindung des Insolvenzverwalters an Schiedsabrede

10.08.11 | Der BGH hat mit Beschluss vom 30.6.2011, Aktenzeichen III ZB 59/10, entschieden, dass eine vom Gemeinschuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossene Schiedsabrede den Insolvenzverwalter nicht bindet, soweit es um Rechte geht, die sich nicht unmittelbar aus dem vom Gemeinschuldner abgeschlossenen Vertrag ergeben, sondern auf der Insolvenzordnung beruhen. Zu diesem selbstständigen, der Verfügungsgewalt des Gemeinschuldners entzogenen Rechten gehört nicht nur die Insolvenzanfechtung, sondern auch das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO.

Insoweit entfalten Schiedsabreden mit dem Gemeinsamschuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Rechtswirkungen gegenüber dem Insolvenzverwalter.