Juli 2015

Altkanzler Helmut Kohl hat Anspruch auf Herausgabe der Memoiren-Tonbänder

16.07.15 | Der BGH hat entschieden, dass der Journalist Heribert Schwan die Tonbänder mit den aufgezeichneten Lebenserinnerungen von Helmut Kohl herausgeben muss (BGH vom 10. Juli 2015, Az.: V ZR 206/14). Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Buchverlag, der für die Veröffentlichung der Memoiren verantwortlich war, schloss mit beiden Parteien separate Verträge. Zwischen Kohl und Schwan gab es keinen schriftlichen Vertrag.

Der Journalist sollte als Ghostwriter für den Altkanzler dessen Memoiren schriftlich abfassen. Im Zuge dessen trafen sich die Parteien in den Jahren 2001 und 2002 im Wohnhaus des Altkanzlers und nahmen insgesamt 630 Stunden Gespräche auf. Die Parteien sprachen über das gesamte Leben und den politischen Werdegang von Helmut Kohl, wobei die Aufnahmen mit einem Tonbandgerät von Herrn Schwan erfolgten.

Auf Grundlage der aufgenommenen Gespräche verfasste Schwan die Memoiren. Ab 2004 erschienen sie dann in drei Bändern. Zwischen den beiden kam es zu einem Zerwürfnis, als der Journalist ein weiteres Buch mit Hilfe der aufgenommenen Gespräche herausbrachte, sowie eine Biografie über die verstorbene Ehefrau von Helmut Kohl.

Der Altkanzler beendete daraufhin die Zusammenarbeit mit Schwan und verlangte erfolgreich die Herausgabe der Aufnahmen vor dem Landgericht Köln (Az.: 14 O 612/12). Dagegen wehrte sich der Autor, scheiterte dabei aber vor allen weiteren Instanzen bis zum BGH.

Das OLG Köln (Az.: 6 U 20/14) kam zum selben Ergebnis wie das LG Köln, allerdings gestützt auf die Annahme, dass Herr Kohl Eigentümer an den Tonbändern (gem. § 950 BGB) geworden sei, indem er sie mit historisch wertvollen und einmaligen Aussagen besprochen habe.

Der BGH dagegen war der Meinung, dass die Pflicht zur Herausgabe entstanden sein soll, weil Altkanzler Kohl mit dem Journalisten Schwan im Zuge der separaten Verlagsverträge stillschweigend ein Auftragsverhältnis geschlossen habe. Dieses habe der Politiker nach dem Zerwürfnis gekündigt und den Auftrag widerrufen. Aus der Beendigung der Zusammenarbeit ergebe sich dann die Pflicht zur Herausgabe aller Dokumente und Aufnahmen (gem. § 667 BGB).

Auf die Eigentumslage der besprochenen Tonbänder käme es dabei nicht an. Der Journalist müsse alles heraus geben, was er im Rahmen des Auftrages erhalten habe, und dies seien auch die auf Tonband verkörperten Erinnerungen von Helmut Kohl.


Kaufrecht – Rücktritt wegen eines Mangels

15.07.15 | Keine Unerheblichkeit des Mangels bei Beseitigungsaufwand von mehr als 5 % des Kaufpreises

Für den Käufer einer beweglichen Sache stellt sich sowohl im privaten wie auch im wirtschaftlichen Bereich häufig die Frage, ob er sich wieder von dem Kaufobjekt trennen kann, wenn dieses mit einem Mangel behaftet ist. Damit stellt sich konsequent die Frage nach dem Rücktritt vom Vertrag. Hierbei komme es darauf an, ob die grundsätzliche Möglichkeit eines Rücktritts im akzeptablen Verhältnis steht zur Dimension des geltend gemachten Mangel.

Der Gesetzgeber hat einem unbedingten Rücktrittsrecht im Falle eines Mangels einen Riegel vorgeschoben, den der Bundesgerichtshof weiter konkretisiert hat.

In § 323 Abs. 5 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch ist die Regelung enthalten, dass eine Gläubiger von einem Vertrag nicht zurücktreten kann, wenn die betreffende bzw. geltend gemachte Pflichtverletzung unerheblich ist. Als Pflichtverletzung ist naturgemäß auch die Lieferung einer mangelhaften Sache anzusehen.

Bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 28.05.2014 – VIII ZR 94/13) wurde von der Rechtsprechung eine Unerheblichkeit gesehen, wenn der Beseitigungsaufwand für einen festgestellten Mangel 10 % des Kaufpreises nicht überschreitet. Dann war ein Rücktritt ausgeschossen. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung „gekippt“ und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass von einer Unerheblichkeit jedenfalls in der Regel dann nicht auszugehen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von 5 % des Kaufpreises übersteigt. Mit anderen Worten:

Ist für die Mangelbeseitigung eine Betrag von mehr als 5 % des Kaufpreises erforderlich, ist dem Käufer nicht zuzumuten, an dem Vertrag festzuhalten und er kann von dem Kaufvertrag wirksam zurücktreten. Dies ist eine Konsequenz aus der Rechtsprechung, die in der kaufmännischen Rechtspraxis von erheblicher Bedeutung ist und die Risikosphäre eines Verkäufers erheblich erweitert.


Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen ist nicht GEMA-gebührenpflichtig

15.07.15 | Die Wiedergabe von Radiosendungen als Hintergrundmusik im Wartezimmer von Zahnarztpraxen ist nicht öffentlich nach § 15 des Urheberrechtsgesetzes und somit nicht vergütungspflichtig. Dies entschied der BGH am 18. Juni 2015 (Az.: I ZR 14/14).

Die Parteien des Rechtsstreits waren die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) und ein Zahnarzt.

Die GEMA ist eine Verwertungsgesellschaft, die die Nutzungsrechte ihrer Mitglieder (Komponisten, Dichter, Musikverleger) wahrnimmt. Sie schließt mit den Musiknutzern Lizenzverträge ab und schüttet die eingenommenen Nutzungsgebühren an die einzelnen Mitglieder der Verwertungsgesellschaft aus. Gebührenpflichtig ist immer die öffentliche Wiedergabe von Musikstücken.

Der beklagte Zahnarzt hatte zunächst mit der GEMA einen Lizenzvertrag geschlossen, wonach er berechtigt war gegen eine Vergütung Hörfunksendungen im Wartezimmer seiner Praxis auszustrahlen. Nachdem der Europäische Gerichtshof (Az.: C-135/10) aber die öffentliche Wiedergabe von Musikstücken zugunsten eines italienischen Zahnarztes verneinte, kündigte der Beklagte den Lizenzvertrag fristlos.

Dagegen wehrte sich die Verwertungsgesellschaft, und klagte die Gebühr ein. Allerdings musste sie sich in allen Instanzen bis zum BGH geschlagen geben.

Die Richter des BGH waren nämlich der Auffassung, dass die fristlose Kündigung berechtigt gewesen sei, da die Geschäftsgrundlage mit der EuGH-Entscheidung weggefallen sei. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nahm die Rechtsprechung noch an, dass die Ausstrahlung von Rundfunksendungen in Arztpraxen eine öffentliche Wiedergabe sei.

Nach Meinung des EuGH setze nun eine öffentliche Wiedergabe die Ausstrahlung von Musikstücken gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht viele Personen voraus. Außerdem müsse die Wiedergabe auf Erwerbszwecke gerichtet sein.

Eben dies sei in einem Wartezimmer einer Zahnarzt-Praxis nicht der Fall. Die Anzahl der Patienten im Wartezimmer sei stabil und bestimmt. Außerdem kämen die Patienten in die Praxis um ihre Zähne behandeln zu lassen, die Wiedergabe von Musiktiteln gehöre nicht dazu. Der Genuss der Radiosendungen durch die wartenden Patienten sei rein zufällig.

Da die Sachverhalte in allen wesentlichen Punkten übereinstimmten und der BGH an die Auslegung des europäischen Rechts durch den EuGH gebunden ist, entschied er sich auch hier gegen eine öffentlich Wiedergabe und die entsprechende Vergütungspflicht.


Ausstrahlung heimlich angefertiger Aufnahmen kann zulässig sein

13.07.15 | Über die Frage, ob die Ausstrahlung von heimlich aufgenommenem Filmmaterial die Rechte der Daimler AG verletze, hatte das Oberlandesgericht Stuttgart am 08. Juli 2015 (Az.: 4 U 182/14) zu entscheiden.

Zum Zwecke einer Recherche für die ARD-Reportage „Hungerlohn am Fließband – Wie Tarife ausgehebelt werden“ arbeitete ein Journalist als Leiharbeiter bei der Daimler AG zur Verpackung von Kfz-Einzelteilen. Mit versteckten Kameras nahm er heimlich das Geschehen in der Betriebshalle auf. Der Journalist wollte mit dem Beitrag auf Missstände in der Arbeitnehmerüberlassung hinweisen.

Da das Unternehmen der Meinung war, es handele sich dabei um eine rechtswidrige Beschaffung von Bildmaterial, klagte es zunächst vor dem Landgericht Stuttgart. Es wollte eine erneute Ausstrahlung des Beitrags verhindern. Als die Klage abgewiesen wurde, ging Daimler vor dem OLG Stuttgart in Berufung.

Auch diese wurde aus folgenden Gründen abgelehnt:

Das Gericht unterschied zwischen der rechtswidrigen Filmbeschaffung und der rechtmäßigen Ausstrahlung. Das heimliche Filmen verletze zwar die Hausrechte des Unternehmens, und sei ein Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, dennoch sei die Ausstrahlung nach Abwägung mit dem öffentlichen Interesse nicht rechtswidrig, und könne deshalb nicht verboten werden.

Nach Meinung der Richter überwiege hier das Informationsinteresse der Allgemeinheit zu erfahren, wie Daimler durch den Einsatz von Werkverträgen Kosten spart. Der Beitrag beschäftige sich mit einer die Öffentlichkeit berührenden Frage, die der öffentlichen Meinungsbildung diene.

Das Unternehmen handele zwar nicht rechtswidrig. Allerdings mache die Darstellung den Missstand deutlich, dass durch den Einsatz von Werkverträgen die Kosten so stark gesenkt werden, dass Arbeiter teilweise durch steuerfinanzierte Sozialleistungen unterstützt werden müssen, obwohl sie 35 Stunden in der Woche arbeiten.

Das öffentliche Informationsinteresse, auf diese Missstände hingewiesen zu werden, überwiege das Interesse der Daimler AG, die Ausstrahlung rechtswidrig beschaffenen Bildmaterials zu verhindern.


Glückstädter Matjes als geschützte geografische Angabe

03.07.15 | Der „Verein Schutzgemeinschaft Glückstädter Matjes e.V.“ hat erreicht, dass die Bezeichnung „Glückstädter Matjes“ künftig Schutz als geografische Angabe genießt. Damit ist der Verkauf von Matjes unter dieser Bezeichnung nur dann zulässig, wenn er auch tatsächlich aus Glückstadt in Schleswig-Holstein kommt. Mindestens eine der Produktionsstufen – also die Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung muss in dem Ort durchlaufen worden sein.

Dieser herkunftsbezogene Schutz durch das Gütesiegel soll gewährleisten, dass das beworbene Produkt auch wirklich aus dem Ort kommt und eng mit der Region verbunden ist. Matjes aus anderen Gebieten darf europaweit nicht so bezeichnet werden.

Die geschützte geografische Angabe erfüllt eine wichtige Kennzeichnungsfunktion. Damit besteht ein Schutz ähnlich dem Markenrechtsschutz. Der Unterschied zu einer Marke besteht insbesondere darin, dass nicht eine Firma alleine den Schutz genießt, sondern eine Gemeinschaft, aus mehreren Unternehmen, die aus dem gleichen Ort kommen und das gleiche Produkt herstellen.

Es gibt drei verschiedene EU-Gütezeichen, die die Qualität hochwertiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Lebensmittel garantieren sollen:

Die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) umfasst Produkte, die in einem bestimmten Gebiet und nach einem besonderen Verfahren hergestellt werden. In Deutschland sind z.B. die „Lüneburger Heidschnucke“, der „Allgäuer Emmentaler“ oder der „Altenburger Ziegenkäse“ unter dieser Bezeichnung geschützt.

In den Bereich der geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) sind Produkte einbezogen, die mindestens eine Produktionsstufe in dem Herkunftsgebiet durchlaufen haben. Dies sind neben dem „Glückstädter Matjes“ beispielsweise der „Obazda“ oder der „Dresdner Christstollen“.

Garantiert traditionelle Spezialitäten (g.t.S.) sind Erzeugnisse, die nach einem traditionellen Verfahren hergestellt oder verarbeitet werden, oder aus einer traditionellen Zusammensetzung bestehen, wie in Italien der „Mozarella“ oder in Spanien der „Jamón Serrano“ – der Serrano-Schinken.


Recht am eigenen Bild: Unzulässige Veröffentlichung der Aufnahmen von Nichtprominenten

01.07.15 | Aufnahmen von nichtprominenten Personen, die sich zufällig in der Nähe eines Prominenten befinden, dürfen nicht ohne weiteres veröffentlicht werden.

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gab der Klage einer Frau statt, mit der sie die Bild wegen der Print- und Online-Veröffentlichung eines Fotos in Anspruch nahm (Urteil vom 21. April 2015, Az.: VI ZR 245/14). Folgendes hatte zur Klage geführt:

Die Zeitung berichtete von einem Fußball-Profi in seinem Sommerurlaub. In dem bebilderten Bericht hieß es unter anderem: „Sonne, Strand, Strauchdiebe. Gestern sahen wir … – Star A. (25) in pikanter Frauen-Begleitung am Ballermann. Jetzt wurde er Opfer einer Straftat“.

Im Hintergrund dieses Bildes war die Klägerin im Bikini zu erkennen. Mit der Klage begehrte sie von der Zeitung Unterlassung und Schadensersatz.

Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin auf dem Foto identifizierbar gewesen sei. Die Aufnahme zeige sie erkennbar in einer privaten Situation. Auch einer Veröffentlichung habe sie nicht zugestimmt.

Das Bild sei auch nicht dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen. Auf der Bildberichterstattung war zu sehen wie der Fußball-Profi seinen Müll am Strand entsorgt; das öffentliche Interesse daran überwiege nicht die Persönlichkeitsrechte der Klägerin. Der Informationswert der Aufnahme sei gering. Außerdem könne der Leser denken, es handele sich bei der „pikanten Frauenbegleitung“ um die Klägerin.

Das Argument der Beklagten, es handele sich bei der Frau um „Beiwerk“ nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 Kunsturhebergesetz (KUG) konnte den BGH nicht überzeigen, da Mittelpunkt des Fotos der Fußballstar gewesen sei, und nicht der Strand vom Ballermann.

Personen können im Sinne des KUG als „Beiwerk“ auf einem Bild gelten, wenn die fotografierte Landschaft oder Örtlichkeit im Vordergrund steht. Auf dem Bild war nicht der Strand das prägende Motiv, sondern der Fußballer. Aus diesem Grund konnte die Klägerin nicht als „Beiwerk“ betrachtet werden.

Eine Geldentschädigung sprach der BGH nicht zu, da die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht schwerwiegend gewesen sei.


[:en]25.10.17 | Selbst wenn eine Zeitung in ihrem Bericht über ein falsches Gerücht, darauf hinweist, dass es sich um ein Gerücht handelt, kann dies eine erhebliche Geldentschädigung begründen (OLG Hamburg mit Urteil vom 17. Januar 2017, Az. 7 U 32/15).

Ein Verlag berichtete in einem Artikel über ein in Deutschland sehr bekanntes Ehepaar (Corinna und Michael Schumacher). Auf dem Titelblatt war die folgende Schlagzeile abgedruckt: „Wie gemein! … Sie standen vor der Trennung! Wer setzt solche Gerüchte in die Welt? Es geht um die Zeit vor dem Unfall…“ Ursprünglich veröffentlichte ein Nutzer entsprechende Gerüchte auf seinem öffentlichen Facebook-Profil.

Der Artikel im Innenteil der auflagenstarken Zeitung befasste sich dann mit den Gerüchten über die Trennungsabsichten des berühmten Ehepaars.

Nach Ansicht des OLG Hamburg steht den Betroffenen eine Geldentschädigung in Höhe von 30.000 € zu, da die Verbreitung des unwahren Gerüchts das Persönlichkeitsrecht in schwerwiegender Weise verletze und rechtswidrig in die Privatsphäre des Ehepaars eingreife. Der Verlag habe keine Recherche dargelegt, auf welchen Erkenntnissen der vorhergehende Facebook-Post beruhe.

Die Verbreitung des Gerüchts wurde in dem Artikel zwar als „gemein“, „fies“ und „widerlich“ bezeichnet, dennoch seien diese Stellungnahmen nichtssagend und gäben keine Auskunft darüber, ob die Gerüchte wahr seien oder nicht.

Das Gericht nahm daher an, dass die Zeitung die Gerüchte ungeprüft einfach übernommen und sich nicht ausreichend davon distanziert habe, so dass ein hoher Schadensersatzanspruch gerechtfertigt sei.