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Fehlende Compliance-Struktur: Ein erhebliches Haftungspotenzial für den Geschäftsführer/die Geschäftsführung

23.06.2022 | Die Compliance, also das rechtmäßige Verhalten entsprechend den geltenden Rechtsnormen, rückt immer näher in den zentralen Bereich der Geschäftsführerhaftung. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat in diesem Zusammenhang in einer Entscheidung vom 30.03.2022 ein signifikantes und richtungsweisendes Urteil mit der Bejahung einer Geschäftsführerhaftung gesprochen. Aufgrund einer „lediglich“ defizitären Organisationsstruktur des Geschäftsführers einer GmbH & Co. KG verurteilte ihn das Oberlandesgericht rechtskräftig zur Zahlung eines nicht gerade unerheblichen Betrages in Höhe von 788.933,31 €. Dieser Betrag stellte den Schaden der Gesellschaft dar, welcher durch einen veruntreuenden Mitarbeiter verursacht wurde. Für diesen Schaden, den definitiv ein Mitarbeiter verursacht hatte, wurde der Geschäftsführer zur finalen Verantwortung gezogen, und zwar strafrechtlich wie insbesondere zivilrechtlich! Dem Geschäftsführer wurde zum Vorwurf gemacht, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, wie sie in § 43 Abs. 2 GmbHG vorgesehen ist, nicht eingehalten hatte. Der Schaden wäre nach Auffassung des Gerichts mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten, wenn der Geschäftsführer organisatorische Strukturen zur vorbeugenden Gefahrenabwehr installiert hätte.

Die gesellschaftsrechtliche Sorgfaltspflicht verdichtet sich für den Geschäftsführer zu einer „Unternehmensorganisationspflicht“. In diesem Licht kommt die Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung der Unternehmensorganisationspflicht dann bereits gegeben ist, „wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle den Mitarbeitern der Gesellschaft Straftaten oder sonstige Fehlhandlungen ermöglicht oder auch nur erleichtert werden.“

Im Kern geht es deshalb um die Verpflichtung der Geschäftsführung, ein Compliance Management im Unternehmen einzurichten, um Risiken und Schäden für das Unternehmen möglichst im Vorfeld auszuschließen, zumindest jedoch zu reduzieren.

Es geht somit um eine Einstandspflicht der Geschäftsführung für das Fehlverhalten von Mitarbeitern, welches durch ein Überwachungssystem mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können.

Sicherlich kann mit zunehmender Größe eines Unternehmens der Geschäftsführer selbst nicht das Überwachungssystem in Person mit Leben erfüllen. Insofern ist es der Geschäftsführung erlaubt, Überwachungsaufgaben auf einzelne Mitarbeiter zu delegieren. In einem solchen Fall konzentriert sich die Überwachungsaufgabe auf die Kontrolle und Überwachung der Personen, auf die Überwachungsfunktionen und Aufgaben delegiert wurden.

Dies formuliert das Oberlandesgericht Nürnberg einprägsam mit der Begrifflichkeit „Überwachung der Überwacher“. Ungeachtet dessen bleibt es allerdings bei der Oberaufsicht der Geschäftsführung im Unternehmen.

Die rechtskräftige Entscheidung des OLG Nürnberg reflektiert die mittlerweile allgemeine Auffassung, dass ein Geschäftsführer nur dann seinen Sorgfaltspflichten nachkommt, wenn er sämtliche ihm mögliche Vorkehrungen trifft, die vermeiden helfen, dass das Unternehmen zu Schaden kommt, insbesondere durch betriebsinterne Unregelmäßigkeiten oder Fehlverhalten von Mitarbeitern. Kommt er diesem Postulat nicht nach, so haftet der Geschäftsführer in seiner Person mit seinem gesamten Vermögen für den Schaden, welcher bei der von ihm geleiteten Gesellschaft eingetretenen ist. Ein Geschäftsführer ist deshalb gut beraten, prophylaktische und vorbeugende Überlegungen anzustellen, verbunden mit der Einführung kontrollierender Organisationsstrukturen, und diese anwaltlich begleiten zu lassen.

Ihr Fachanwalt zu diesem Thema
Dr. Michael Streit
• Rechtsanwalt
• Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht

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