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Insolvenzrechtliche Neuerungen für selbstständige Schuldner

28.06.2021 | Für selbstständig tätige Schuldner wurden mit den §§ 35 Abs. 3 und 295 a Abs. 2 InsO neue Vorschriften eingeführt, die zum 31.12.2020 in Kraft getreten sind.

Die Vorschrift des § 35 Abs. 1 InsO sieht vor, dass das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und dass er während der Zeit des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse), erfasst.

Übt der Schuldner eines Insolvenzverfahrens eine selbständige Tätigkeit aus, fallen seine gesamten Einkünfte als sog. Neuerwerb somit in die Insolvenzmasse, ohne dass ein Abzug für beruflich bedingte Ausgaben vom Gesetzgeber vorgesehen wäre.

Der Schuldner kann aber beim Gericht beantragen, das ihm von seinen Einkünften als pfandfreier Betrag für seinen Unterhaltsbedarf so viel belassen wird, wie ihm verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeitslohn bestünde.

Im Gegenzug stellen die Kosten der selbständigen Tätigkeit Masseverbindlichkeiten dar. Hierunter fallen zum Beispiel die vom Schuldner zu zahlende Löhne und Gehälter oder Steuerverbindlichkeiten ab Verfahrenseröffnung. Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit durch den Schuldner kann daher für die Insolvenzmasse ein erhebliches Risiko darstellen.

Diesem Risiko kann der Insolvenzverwalter durch die Freigabe der selbständigen Tätigkeit begegnen. Bittet der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter nunmehr gegenüber dem Schuldner zu erklären.

Die Freigabe erstreckt sich auf den Neuerwerb des Schuldners aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit. Umsätze die der Schuldner nach erfolgter Freigabe erzielt, sind nicht mehr massebefangen und müssen vom Schuldner daher nicht abgeführt werden.

Die Freigabe erfasst auch betriebliche Dauerschuldverhältnis wie zum Beispiel Arbeits-, Miet- und Versorgungsverträge.

Nicht von der Freigabe umfasst ist das vorhandene Betriebsvermögen, wie zum Beispiel Werkzeuge und Maschinen. Diese können jedoch vollstreckungsrechtlich unpfändbare Gegenstände darstellen.

Die aufgrund der selbständigen Tätigkeit nach der Wirksamkeit der Freigabe entstandenen Neuverbindlichkeiten sind nicht mehr aus der Masse, sondern allein aus dem Neuerwerb des Schuldners zu bestreiten.

Für Altgläubiger greift hingegen das insolvenzrechtliche Vollstreckungsverbot, so dass der selbständige Schuldner vor weiteren Vollstreckungsversuchen seiner bisherigen Gläubiger geschützt ist.

Eine Freigabeerklärung im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit des Schuldners hat daher weitreichende Wirkungen für die Insolvenzmasse, den Schuldner und dessen Vertragspartner, welche grundsätzlich ab dem Zugang der Erklärung beim Schuldner eintreten.

Als Neuregelung sieht die Vorschrift des § 35 Abs. 3 InsO nunmehr die Pflicht des Insolvenzverwalters vor, sich zu einer Bitte des Schuldners um Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit innerhalb eines festgelegten Zeitraums zu erklären.

Für den Schuldner besteht die Pflicht, den Insolvenzverwalter über die Ausübung, einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Diese Informationspflicht besteht uneingeschränkt. Neu ist jedoch die Verpflichtung des Insolvenzverwalters sich unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen des Schuldners um die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit zu erklären.

Die Neuregelung gibt dem Schuldner somit notfalls auch einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf Abgabe einer Erklärung im Hinblick auf die Fortführung der selbständigen Tätigkeit.

Wird der Insolvenzverwalter vom Schuldner zur Abgabe einer Erklärung aufgefordert und kann oder möchte sich der Verwalter hierzu noch nicht endgültig erklären, wird er die Freigabe zunächst ausdrücklich verweigern und diese Entscheidung erforderlichenfalls später revidieren.

Nach Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit obliegt es dem Schuldner die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an die Insolvenzmasse so zu stellen, als wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wären (§ 290 a InsO).

Hieraus resultierende Zahlungen sind kalenderjährlich bis zum 31. Januar des Folgejahres zu leisten. Diese Regelung ist ebenfalls neu. Bislang war es dem Schuldner möglich, die von ihm zu leistenden Zahlungen spätestens bis zum Ende des Verfahrens an die Insolvenzmasse abzuführen.

Eine Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter über eine beabsichtigte Fortführung einer selbstständigen Tätigkeit oder aber einer Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit und die in diesem Zusammenhang gegebenenfalls an die Insolvenzmasse zu leistenden Zahlungen erscheint gleichwohl sinnvoll und geboten.

 

 

Ihr Fachanwalt zu diesem Thema
Dr. Jörg Behrends
• Rechtsanwalt
• Fachanwalt für Steuerrecht
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